Soll ich dir etwas gestehen? Ich kann gerade nicht mehr in den Baumarkt oder Gartencenter gehen, ohne mich so richtig aufzuregen. Okay, das Sortiment war schon früher nicht besonders gut, wenn man wirklich nachhaltig und mit der Natur gärtnern will und nicht einfach die langweilig-deprimierenden Hochglanz-Versprechen für jede Menge Geld nachbauen möchte. Auch wirklich vernünftige Pflanzen gibt es dort nur selten, wenn man mal von Wechselflor-Saisonzüchtungen absieht.
Aber neuerdings ist all dieser Kram auch noch angeblich „insektenfreundlich“. Und das regt mich wirklich auf – denn es ist schlichtweg in 99% der Fälle eine glatte Lüge. Und weil Menschen der Natur und den Tieren etwas Gutes tun wollen, kaufen sie im guten Glauben den reinsten Quatsch – und geben dafür eine Menge Geld aus.
„Insektenfreundlich“ als Eigenschaft auf einer Sache, die man kaufen kann, sagt leider oft gar nichts (mehr) aus über den wirklichen Wert für Insekten. Hier werden unwissende Kund:innen, die es eigentlich gut meinen, schlichtweg verarscht.
Du willst nicht, dass dir das auch passiert? Dann habe ich hier ein paar Informationen zusammengestellt, mit denen du diesen Marketing-Stinkern nicht mehr auf den Leim gehst.
Biene auf Blüte = ultimativ wertvoll?
Ein klassisches Beispiel: Eine (Honig-)Biene sitzt auf einer Blume – die Blume muss also insektenfreundlich sein, oder? Das will man uns seit Jahren Glauben machen – dieses Motiv ist quasi der Inbegriff des „guten Gärtners“.
Doch Bienen sitzen auch mal auf Hauswänden oder Asphalt, ohne dass diese dann gleich als insektenfreundlich gelten – keine:r käme auf diese Idee! Warum glauben wir dann, dass dies für jede Pflanze gilt, unabhängig davon, wie steril, überzüchtet oder exotisch sie ist? Wie ich bereits im Artikel über die Forsythie erwähnt habe, sind nicht alle Pflanzen nützlich für Insekten. Dennoch schreiben immer mehr Produzenten „insektenfreundlich“ auf ihre Produkte, weil es sich besser verkauft. (Sogar auf Forsythien, ohne Scherz)
Eine Biene mag sich auf eine solche Pflanze verirren, aber das macht letztere noch lange nicht wertvoll für das Ökosystem.
Was kannst du gegen diese Täuschung tun? Regel Nr. 1 gegen die „Baumarkt-Verarsche“ sollte sein: Kauf nur, was du wirklich als wertvoll für Insekten identifiziert hast. Glaub nicht einfach einem Schild auf einer random Blume, sondern:
- Lies erst einmal nach, welche Blume das genau sein soll.
- Kein botanischer Name drauf? Finger weg!
- Botanischer Name drauf, aber die Pflanze kennst du noch nicht? Wenn du nicht sicher bist, ob die Pflanze was „Vernünftiges“ ist: Schau direkt bei der naturaDB-App nach!
Warum „bienenfreundlich“ auch nicht besser ist
Vielleicht ist dir eine weitere Sache aufgefallen: Es wird auffällig oft (nur) von Bienen geredet. Genau wie „insektenfreundlich“ ist aber auch „bienenfreundlich“ ein vom Marketing und verschiedenen „Greenwashern“ ausgelutschter Begriff, bei dem dir mittlerweile die Alarmglocken angehen sollten.
Der Hauptirrtum ist jedoch, dass uns weisgemacht werden soll, es gehe um den Schutz der Honigbiene. Honigbienen sind menschliche Nutztiere, ihre Zahl steigt stark, sie sind also mitnichten bedroht – und Bienenvölker keine Maßnahme gegen das Artensterben!
Gucken wir doch mal etwas genauer auf die Bienen: Es gibt in Deutschland außer der Honigbiene auch mehr als 560 Wildbienenarten. Während Erstere als des Menschen drittliebstes Nutztier eine Nahrungs-Generalistin ist (heißt, sie kann sich von sehr vielen verschiedenen Blüten ernähren), trifft das auf Wildbienen nicht zu: Diese sind in ihrer Nahrung überwiegend stark spezialisiert.
Das heißt im Klartext: „Bienenfreundlich“ trifft als Aussage auf einer Pflanze vielfach allerhöchstens auf die Honigbiene zu. „Die eine Pflanze“ für Wildbienen gibt es dagegen oftmals gar nicht. Viele Wildbienen sind auf spezifische, einheimische Pflanzen angewiesen – und zwar jede der 560 Arten ausschließlich auf einige wenige davon. Durch den Rückgang dieser Pflanzen in der Natur sind etwa 80-90% der Wildbienenarten bedroht – zusätzlich zu den negativen Auswirkungen von Insektiziden und Lebensraumverlust.
Wir brauchen also für Wildbienen sehr viele verschiedene Pflanzen und nicht nur „die eine“!
Was kannst du gegen diese Täuschung tun? Guck dir genau an, wer das jeweilige Produkt produziert und ob nicht zufällig ein „Honigbienen-Startup“ dir tolle, aber nutzlose Produkte verkaufen möchte. Informiere dich über Beewashing als Form des Greenwashings. Und Regel Nr. 1 (siehe oben) gilt natürlich auch hier.
Jeder Falter war mal eine Raupe! „Insektenfreundlich“ meint nicht nur fliegende Insekten
Dann ist da noch diese eine Sache, die wir in unseren Gärten gerne vergessen, wenn wir mal wieder vor einem abgefressenen Strauch stehen: Fast alle Insekten wie Schmetterlinge, Käfer, Libellen und Fliegen durchlaufen Metamorphosen, in denen sie sich komplett verwandeln. Vor ihrer Flugphase sind sie oft Eier, Raupen, Larven oder Puppen und haben völlig andere Lebensräume und Nahrungsbedürfnisse. Wir Menschen denken oft nur auf das „Endstadium“, weil uns das Insekt so am besten gefällt – der äußerst hübsche Falter ist uns lieber als die gefräßige Raupe, die er mal war.
Die frühen Stadien der Insekten sind häufig auf sogenannte „Blattmasse“ als Nahrung angewiesen – Blätter, Holz oder sogar Aas. Das heißt im Klartext, sie fressen Blumen, Sträuchern und Bäumen die Blätter ab.
Und wie die Wildbienen sind auch Larven und Raupen keine Allesfresser, sondern ebenfalls spezialisiert: Keine Pflanze will die „Blattmasse“ sein, die von ihnen schonungslos verputzt wird, und hat deshalb Abwehrstrategien entwickelt: Gift, Dornen, Harz, sehr harte Blätter oder Bitterstoffe, um ein paar zu nennen. Aber spezialisierte Insekten haben wiederum gelernt, diese Abwehr zu umgehen. So ist in der sogenannten Co-Evolution zwischen einzelnen Pflanzen und Insekten eine enge Abhängigkeitsbeziehung entstanden.
Dieser Zusammenhang geht so weit, dass bestimmte Insekten nur einige bestimmte Pflanzen als Nahrung nutzen können – alternativlos!
Was kannst du tun? Vergiss nicht, dass Bienen, Schmetterlinge und Käfer erst das Ende einer langen Entwicklung sind und „insektenfreundlich“ daher nicht auf Fluginsekten reduziert sein darf. Ruf dir ins Gedächtnis, dass es für deine Pflanzen spricht, wenn sie von Raupen gefressen werden – denn dann haben sie eine Funktion im Ökosystem und sorgen für neuen Falter-Nachwuchs. Mach dir klar, dass heimische Sträucher und Bäume das einplanen und einfach mehr Laub produzieren. „Insektenfreundlich“ heißt auch: Ordentlich was zu Futtern für die Fluginsekten der Zukunft!
Was ist dann ein echter insektenfreundlicher Garten?
- Ein wirklich insektenfreundlicher Garten beschränkt sich nicht nur auf ein paar blühende Pflanzen. Er bietet Lebensraum und Nahrung für die verschiedenen Entwicklungsstadien der Insekten und lässt zu, dass die Blätter von Pflanzen von vermeintlichen „Schädlingen“ angefressen werden.
- Nicht alle Insekten fressen Pflanzen. Eine hohe Anzahl Käfer und Wanzen z. B. zersetzt Holz und Pflanzenrückstände. In einem insektenfreundlichen Garten ist also auch von dieser Nahrung ordentlich was vorhanden – und das gibt es meistens völlig kostenlos als „Abfallprodukte“ des Gartens.
- Ein echter Garten für Insekten bietet ihnen nicht nur Futter, sondern auch eine Vielfalt an Strukturen und Rückzugsmöglichkeiten.
- In einem insektenfreundlichen Garten hat Gift einfach überhaupt nichts verloren. Denn wenn wir unerwünschte Pflanzen und Insekten vergiften, vergiften wir auch die Vögel, Igel und Reptilien, die sich von ihnen ernähren.
- In einem Garten, der ein Paradies für Insekten werden soll, gehen wir gelassen mit Fraßspuren um. Dass Pflanzen einen Teil ihrer Blattmasse an fressende Insekten verlieren, planen sie mit ein. Sie sterben daran normalerweise nicht, sondern treiben einfach neu aus oder produzieren von vornherein mehr Blätter, als sie für sich selbst brauchen. Außerdem sind die Fressfeinde der Fressfeinde meist nicht weit. Die Natur regelt das. Nur wo der Mensch die Natur völlig aus dem Gleichgewicht gebracht hat, fehlen sämtliche Regulationsmechanismen.
Fazit
„Insektenfreundlich“ hat sehr wenig mit dem zu tun, was uns Baumarkt, Gartencenter und findige Marketing-Startups verkaufen wollen. Lustigerweise ist „insektenfreundlich“ oft das Gegenteil von Kommerz und die Tiere profitieren davon, je weniger wir mit immer neuen Produkten in die Natur eingreifen.
Ausnahme: Neue, nachhaltig produzierte heimische Wildpflanzen in deinem Garten sind natürlich immer ein Gewinn! 🙂
Eine Pflanze, die niemals Tiere auf ihren Blättern hat oder keine Fraßspuren aufweist, hat wahrscheinlich keinen relevanten Wert für das Ökosystem. Um eine wirklich insektenfreundliche Umgebung zu schaffen, bedarf es mehr als nur blühender Pflanzen. Es braucht ungestörte Lebensräume, eine Vielfalt an heimischen Pflanzen und Strukturen und den Verzicht auf Pestizide.
Dein Garten soll auch insektenfreundlicher werden, aber du tust dich schwer mit den ersten Schritten? Dann hol dir am besten gleich mein kostenloses Starter-Workbook und fang heute noch an, in deinem Garten der Natur etwas Gutes zu tun!